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Umsatzsteuerfreie Leistungen selbständiger Personenzusammenschlüsse an ihre Mitglieder

BMF konkretisiert Voraussetzungen der sog. „kleinen Organschaft“

Im Bereich der Sozialwirtschaft stellt die häufig fehlende Möglichkeit zum Vorsteuerabzug nach wie vor eine der größten steuerlichen Hürden bei der Gestaltung arbeitsteiliger Strukturen dar, in denen Leistungen innerhalb von Kooperationen zwischen mehreren Körperschaften ausgetauscht werden. Mit der Einführung des § 4 Nr. 29 UStG durch das Jahressteuergesetz 2020 können sonstige Leistungen, die Personenzusammenschlüsse an ihre Mitglieder erbringen, unter bestimmten Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit sein. Die Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten hatten wir Ihnen bereits in einem früheren Beitrag dargestellt. Nunmehr hat die Finanzverwaltung mit BMF-Einführungsschreiben vom 19.7.2022 die Verwaltungsmeinung zur Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG konkretisiert.

Ziel der Regelung und Gestaltungsbeispiel

Gemeinnützige Unternehmen, die durch die gemeinsame Gründung von Unternehmen mit anderen gemeinnützigen Unternehmen ihre Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit verbessern wollen, stehen vor der Herausforderung, dass die Leistungen des gemeinsamen Unternehmens an seine Mitglieder grundsätzlich der Umsatzsteuer unterliegen und diese mangels Vorsteuerabzug beim Mitglied eine zusätzliche Kostenbelastung darstellt. § 4 Nr. 29 UStG soll nach den Ausführungen im BMF-Schreiben durch die Möglichkeit der Umsatzsteuerbefreiung einen „… Wettbewerbsnachteil desjenigen, der z.B. wegen mangelnder Unternehmensgröße dem Gemeinwohl dienende Leistungen einkaufen muss, im Vergleich zu demjenigen … vermeiden …, der die Leistungen durch eigene Angestellte oder im Rahmen einer Organschaft erbringen lassen kann.“

Die durch den § 4 Nr. 29 UStG adressierte Gestaltung kann wie in Abb. 1 dargestellt skizziert werden.

Grundvoraussetzungen für umsatzsteuerfreie Leistungen

Damit die Leistungen an die Mitglieder nach § 4 Nr. 29 UStG umsatzsteuerfrei erbracht werden können, sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:

Selbständiger Personenzusammenschluss und deren Mitglieder

Der Personenzusammenschluss muss ein im Inland ansässiger, eigenständiger Steuerpflichtiger sein, der Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 UStG ist. Auf die Rechtsform und die Bezeichnung kommt es nicht an. Nach dem BMF-Schreiben kommen Personen- und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Eigentümergemeinschaften nach dem WEG oder am Rechtsverkehr teilnehmende Bruchteilsgemeinschaften in Betracht. Stiftungen sind aufgrund der durch die Rechtsform bedingt fehlenden Mitglieder ausgeschlossen.

Bei den Mitgliedern muss es sich um im Inland ansässige (natürliche oder juristische) Personen handeln, die „… insoweit dem Gemeinwohl dienende nicht steuerbare Leistungen oder steuerfreie Leistungen der in § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 UStG bezeichneten Art erbringen.“ 

Als Mitglied kommen somit nahezu alle gemeinnützigen Körperschaften, auch Stiftungen, die im Bereich der Sozialwirtschaft tätig sind und aufgrund eigener Umsatzsteuerbefreiung insoweit vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind, in Betracht.

Leistungen an die Mitglieder

Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG betrifft nur sonstige Leistungen – also keine Lieferungen – i.S. des UStG. Befreit sein können ausschließlich Leistungen des Personenzusammenschlusses an seine Mitglieder; die umgekehrte Leistungsrichtung „Mitglied an Personenzusammenschluss“ ist nicht erfasst. U.a. aus diesem Grund wird die Gestaltung des § 4 Nr. 29 UStG auch als „kleine Organschaft“ bezeichnet.

Von der Steuerbefreiung werden also nur Leistungen an Mitglieder umfasst; das setzt aber nicht voraus, dass

  • die Leistungen hinsichtlich Art und Umfang stets allen Mitgliedern gegenüber in gleicher Weise erbracht werden;
  • der Personenzusammenschluss ausschließlich Leistungen an seine Mitglieder erbringt; der Zusammenschluss kann auch andere oder gleichartige Leistungen an Nicht-Mitglieder erbringen, die nach den „üblichen“ Regelungen des UStG zu besteuern sind;
  • die Mitglieder ausschließlich Tätigkeiten ausüben, die nach den o.g. Vorschriften von der Umsatzsteuer befreit sind oder für die sie nicht Unternehmer sind.

Genaue Kostenerstattung

Weiterhin ist Voraussetzung der Steuerbefreiung, dass das Mitglied als Entgelt für die Leistungen lediglich einen „genauen Kostenersatz“ entrichtet. Nach dem BMF-Schreiben ist dieses Kriterium erfüllt, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Als Entgelt werden Selbstkosten vereinbart und es werden nur die anfallenden Kosten erstattet;
  • dabei sind sämtliche Kosten (insbesondere Personal-, Sach- und Finanzierungskosten) umlagefähig, die im Interesse der Mitglieder getragen werden;
  • das Mitglied trägt für die Leistungen „den auf seinen Anteil entfallenden Betrag an den Gesamtkosten“ – die Zuordnung der Kosten kann dabei aufwandsbezogen, nach der Anzahl der Mitglieder oder anhand der gesellschaftlichen Beteiligung am Zusammenschluss erfolgen;
  • die Abrechnung kann auch in Form einer Umlage mit anschließender Spitzabrechnung erfolgen;
  • der Zusammenschluss darf insoweit keinen Gewinn erzielen noch dies beabsichtigen; werden dennoch Überschüsse erzielt, ist dies unschädlich, wenn sie ausschließlich zur Finanzierung künftiger Investitionen bestimmt sind.

Zwischenfazit 

Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG dürften für zahlreiche Anwendungsfälle mit der erforderlichen Sorgfalt bei der Kostenzurechnung gut erfüllbar sein. Eine deutliche praxisrelevante Einschränkung im Hinblick auf den Anwendungsbereich ergibt sich allerdings aus der im folgenden Abschnitt erläuterten Voraussetzung.

Unmittelbarkeit der Leistungen

Die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG kommt nur dann in Betracht, wenn die Leistung des Personenzusammenschlusses unmittelbar zu den dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten beiträgt und zu diesem Zweck eingesetzt wird. Was die Finanzverwaltung unter „unmittelbaren“ in Abgrenzung zu „nur mittelbaren“ Tätigkeiten versteht, wird im BMF-Schreiben mit Beispielen hinterlegt: Unmittelbarkeit ist danach z.B. in folgenden Fällen gegeben, wenn

  • ärztliche Praxen oder Apparategemeinschaften medizinische Einrichtungen, Apparate und Geräte zentral beschaffen und ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen oder Labor- und Röntgenuntersuchungen oder andere medizinisch-technische Leistungen für ihre Mitglieder ausführen;
  • der Zusammenschluss IT-Infrastruktur, die auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten ist (!), bereitstellt und den Betrieb, die Betreuung oder die diesbezügliche Administration übernimmt; dies umfasst ausdrücklich auch Leistungen zum Zwecke der IT-Sicherheit und des Datenschutzes;
  • bei im Zusammenhang mit IT-Infrastruktur stehenden ähnlichen Tätigkeiten diese Leistungen unmittelbar erforderlich sind, um gesetzlich vorgegebenen Aufgaben nachkommen zu können (z.B. Erstellung von Bescheiden für Krankenkassen oder Gebietskörperschaften als Mitglieder eines Personenzusammenschlusses).

Allgemeine Verwaltungsleistungen, die in ihrer internen und somit begleitenden Tätigkeit nicht dem begünstigten Zweck als solchem dienen, fallen hingegen wegen fehlender Unmittelbarkeit nicht unter die Befreiung. Hier werden beispielhaft u.a. folgende Tätigkeiten genannt: Buchführung, Eingabe und Pflege von Stammdaten, Erstellung und Verarbeitung von Rechnungen, Rechtsberatung, allgemeine Reinigungs- und Verpflegungsleistungen, allgemeine Verwaltungsleistungen und Raumüberlassung.

Die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf zur Ausführung der begünstigten Zwecke unmittelbar verwendete Leistungen und die dazu im BMF-Schreiben beispielhaft erfolgte Auslegung gehen leider am Bedarf gerade kleinerer gemeinnütziger Körperschaften vorbei, die häufig Kooperationen mit anderen Mitgliedern z.B. innerhalb eines Verbands im administrativen Bereich suchen, um die Professionalisierung zu befördern und Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben. Das im BMF-Schreiben angesprochene Ziel der Vorschrift kann damit nur sehr eingeschränkt erreicht werden.

Die (lediglich) beispielhafte Abgrenzung im BMF-Schreiben zwischen den „unmittelbaren“ und den „lediglich mittelbaren“ Tätigkeiten i.S. des § 4 Nr. 29 UStG macht aber auch deutlich, dass es im Einzelfall Abgrenzungsfragen geben kann, die ggf. vorab durch verbindliche Auskunft mit dem Finanzamt abzustimmen sind. Insbesondere die im BMF-Schreiben explizit als Positivbeispiel genannte Bereitstellung spezifischer IT-Infrastruktur sowie deren Betrieb, Betreuung und Administration durch einen Zusammenschluss dürften interessante Gestaltungsperspektiven für die Praxis bieten.

Keine Wettbewerbsverzerrung

Letztlich ist eine weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG, dass anderen Marktteilnehmern durch die Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen des Zusammenschlusses an seine Mitglieder keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Dieser Voraussetzung kommt eine eigenständige Bedeutung zu. Für die Praxis der sozialwirtschaftlichen Einrichtungen ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass das BMF mit Blick auf das eingangs genannte Ziel der Regelung ausführt, dass für die Wettbewerbsklausel „… nur eine restriktive Auslegung …, die insbesondere der Vermeidung von Missbräuchen entgegenwirkt und eine Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG nicht sinnwidrig einschränkt“, in Betracht kommt.

Ausblick: Der § 4 Nr. 29 UStG dürfte in der Praxis in den vom BMF skizzierten Anwendungsfällen gute Lösungsansätze für die Vermeidung von Umsatzsteuerbelastungen im Bereich der Sozialwirtschaft bieten. Es wird aber sowohl in diesen Fällen und erst recht in nicht konkret vom BMF angesprochenen Fallkonstellationen im Einzelfall erheblichen Abstimmungsbedarf mit der Finanzverwaltung geben.

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