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Pflichtteilsrecht: 10-Jahres-Frist bei Schenkungen

Mitunter besteht der Wunsch, das aufgebaute Vermögen nicht gemäß der gesetzlichen Erbfolge zu vererben. Dies kann durch Errichtung eines Testaments auch ohne Weiteres erreicht werden, jedenfalls bis zur Grenze der Pflichtteilsansprüche von nahen Angehörigen. Zur Umgehung der Pflichtteilsrechte können lebzeitige Übertragungen durch Schenkungen genutzt werden. Dabei sind jedoch einige Fallstricke zu beachten.

Allgemeines zum Pflichtteil

Pflichtteilsberechtigt sind die leiblichen oder adoptierten Kinder und die Kinder vorverstorbener Kinder sowie der Ehegatte. Bei kinderlosen Personen sind auch die Eltern der verstorbenen Person pflichtteilsberechtigt, was nicht selten übersehen wird. Die Pflichtteilsberechtigten haben Anspruch auf die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils.  

Schenkung und Pflichtteilsergänzung über 10 Jahre

Der für die Berechnung des Pflichtteils maßgebende Nachlass kann durch lebzeitige Schenkungen reduziert werden. Für einen Zeitraum von 10 Jahren nach der Schenkung hat der Pflichtteilsberechtigte jedoch einen Anspruch auf Ergänzung seines Pflichtteils dergestalt, dass für die Berechnung des Pflichtteils die Schenkung dem Nachlass wieder hinzugerechnet wird. Dieser Pflichtteilsergänzungsanspruch vermindert sich für jedes seit der Schenkung abgelaufene Jahr um 1/10. Nach Ablauf von 10 Jahren wird die Schenkung also bei der Pflichtteilsberechnung nicht mehr berücksichtigt.

Beispiel: Der Vater V hat zwei Söhne A und B, von denen Sohn B bei ihm in Ungnade gefallen ist und testamentarisch enterbt wurde. Um auch dessen Pflichtteilsrechte zu reduzieren, überschreibt V einen Großteil seines Vermögens (Grundstück, Wert: 400 T€) zu Lebzeiten auf Sohn A. Wenn V nun 6 Jahre nach der Schenkung verstirbt, wird das geschenkte Grundstück noch mit 160 T€ (400 T€ abzgl. 6/10) bei der Berechnung des Pflichtteils von Sohn B berücksichtigt. 

Beginn der 10-Jahres-Frist

In entsprechenden Fällen liegt es somit im Interesse des Übertragenden, dass mit der Schenkung auch die 10-Jahres-Frist in Lauf gesetzt wird. Hiervon gibt es jedoch zwei wichtige Ausnahmen:

(1) Schenkung an den Ehegatten: Bei Schenkungen an den Ehegatten beginnt die Frist erst mit Auflösung der Ehe zu laufen (Scheidung, Tod). Somit sind Schenkungen an den Ehegatten regelmäßig nicht zur Begrenzung von Pflichtteilsansprüchen geeignet. Lediglich in Höhe einer seit der Schenkung eintretenden Wertsteigerung ergäbe sich ein Effekt.

(2) Vorbehaltenes Nutzungsrecht: Nach der Rechtsprechung beginnt die Frist auch dann nicht zu laufen, wenn der Schenker den „Genuss des Schenkungsgegenstands noch nicht entbehrt“. So verhält es sich stets bei einem vorbehaltenen Nießbrauch. Behält sich der Schenker dagegen ein Wohnrecht an einer verschenkten Immobilie vor, kommt es für den Fristbeginn darauf an, wie umfangreich das Wohnrecht ausgestaltet ist. Umfasst es das gesamte Schenkungsobjekt, ist es inhaltlich einem Nießbrauch angenähert und setzt die Frist nicht in Gang. Dies hat das OLG München jetzt in einem aktuellen Urteil vom 8.7.2022 (Az.: 33-U-5525/21) klargestellt. Umfasst das Wohnrecht jedoch nur einen Teil der Immobilie, wird der Fristanlauf grundsätzlich nicht gehemmt. Ab welchem Umfang das Wohnrecht schädlich ist, lässt sich aber leider nicht eindeutig beantworten und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Z.B. hat der BGH für die Weiternutzung von einer Etage in einem dreistöckigen Haus einen Fristanlauf bejaht. 

Empfehlung: Wenn Pflichtteilserwägungen keine Rolle spielen und bei der Schenkung eher die ggf. mehrfache Ausnutzung von Schenkungsteuerfreibeträgen im Vordergrund steht, kann ein vorbehaltenes Nutzungsrecht dagegen ein geeignetes Mittel sein, um den steuerlichen Wert der Bereicherung zu reduzieren. Hier gilt: Je früher man entsprechende Maßnahmen angeht, desto größer ist der steuerliche Effekt.

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